My Car is my Castle
Forum Heersum kann jetzt dank Zirkuswagen am jeweiligen Spielort seiner Landschaftstheater ein Büro aufschlagen / Start in Bad Salzdetfurth
Von Martina Prante
Heersum sein. Das bedeutet, zwölf Mal 500 Menschen durch sein Dorf ziehen sehen. Lachend, Butterbrote kauend, mit Klappstuhl und Regenschirm bewaffnet, im Familienverband, im Freundschaftspulk, jung und alt einträchtig nebeneinander her marschierend beziehungsweise sitzend und schauend.
„Einmal Heersum sein!“ So lautet auch der Slogan, mit dem Jürgen Zinke, Geschäftsführer des Forum Heersum, potenzielle Kandidaten für neue Spielorte anlocken will. Mit Erfolg. Innerhalb weniger Wochen haben sieben Dörfer aus dem Landkreis den Finger gehoben.
Und wer auserwählt wird, bekommt für die Zeit von Proben und Aufführungen dauerhaften Besuch vom Forum Heersum. Und zwar in Form eines Zirkuswagens, der auf acht Metern Platz für Büro und Küche bietet, aber auch für Teamtreffen dient, als Kartenvorverkaufsstelle und sogar als Bühne.
So sah der Traum von Zinke aus. So hat er ihn für den Antrag bei Förderern aufgezeichnet (das Land zahlt 28 000 Euro des rund 40 000- Euro-Projekts). Und so ist er tatsächlich auch geworden, nachdem die Firma Siebenender aus Hannover das Chassis aus den 70ern in die Finger bekommen hat. Die historisch-nostalgische Zirkusbauwagenfirma von Andrej Vogel hat die frühere Schieß- und spätere Losbude aus Blech in Dessau entdeckt und in den vergangenen Monaten erst auseinandergenommen und dann völlig neu aufgebaut. Dafür ist Tischler Tobias Heidrich zuständig. Der hat jetzt in Holz und Handarbeit alles eingebaut, was sich Zinke gewünscht hat. Original ist noch der Mechanismus, mit dem sich zwei Wände ausklappen lassen und eine Bühne freigeben. Noch ist das Prachtstück mit Oberlicht nicht ganz fertig: „Wir wollten ihn aber in Bad Salzdetfurth schon einsetzen.“
Wenn der Zirkuswagen nach der Saison zurück ins Winterlager nach Hannover geht, soll er durch Küchenzeile, Schiebetüren, Standheizung und Solarzellen zur Selbstversorgung komplettiert werden. Um unter anderem auch für andere Theatergruppen oder Anlässe fit zu sein: „Er soll benutzt werden.“ Der Wagen ist ein Schnellläufer, wie Heidrich erklärt. Das heißt, dank anderer Reifen und neuer Bremszylinder ist das gute Stück bis zu 80 Stundenkilometer schnell. „Damit können wir sogar unsere Kollegen in Lüneburg besuchen“, lacht Zinke.
In den 27 Jahren, seitdem Kulturpädagogik-Studenten in Heersum ihre Idee vom sozio-kulturellen Landschaftstheaterprojekt haben lebendig werden lassen, gab es nur in den ersten drei Jahren eine feste Spielstätte, nämlich das Holle extra 3 – eine Kneipe mit Saal.
Seitdem sind Jürgen Zinke und sein Team auf immer neue Spielstätten angewiesen, die von 120 Darstellern und ihren Zuschauern monatelang in Beschlag genommen werden. Kein Wunder, dass die Heersumer irgendwann genug hatten von der Kreativität des Forums und ihre Vorgärten nicht mehr öffnen wollten.
Aber der Landkreis Hildesheim hat mit 18 Gemeinden und mehr als 200 Dörfern auch andere schöne Töchter. Rehne und Hildesheim bewiesen 2012 und 2015 als erste, dass sich der Heersum-Gedanke problemlos verpflanzen lässt. Dinklar zog im vergangenen Jahr nach und vor allem mit: „Das ganze Dorf war aktiv“, Jürgen Zinke ist happy. In diesem Jahr lässt sich Bad Salzdetfurth in die Sanatorien-Karten gucken und öffnet für die salzigen Tränen in „Schluchz!“ die gebirgige Landschaft des Bike-Parks.
Das Thema Schwarzwaldklinik könnte 2018 auf die Diekholzener zukommen, die immerhin eine Lungenklinik aufzuweisen haben. „Vielleicht wird’s aber auch ganz anders“, grient Zinke. Den Zuschlag für 2019 hat Wrisbergholzen bekommen, das in zwei Jahren seinen 1000. Geburtstag feiert. „Die haben für dieses Ereignis eine Agentur engagiert, die uns eigens angeschrieben hat, weil sie etwas ungewöhnliches im Pogramm haben wollten.“
Heersum sein, das bedeutet allerdings nicht, sich zurückzulehnen und die Heersumer machen zu lassen. Heersum sein bedeutet sowohl eine finanzielle wie logistische Beteiligung des Dorfes. „Und am liebsten ist uns natürlich, wenn auch viele Einwohner mitspielen.“
Info
Premiere von „Schluchz!“ ist am Samstag, 17. Juni. Weitere Aufführungen: am 18./24./25. Juni sowie am 5./6./12./13./19./20./26./27. August. Karten im TicketShop der HAZ in der Rathausstraße sowie im Büro des Vereins, An der Bundestraße 1 in 31188 Heersum. Preise: Erwachsene: 23, ermäßigt 17,50 Euro, für Kinder von 6 bis 14 Jahren 12 Euro. Die Familienkarte: 61,50 Euro für zwei Erwachsene mit bis zu vier eigenen Kindern.
Quelle: Hildesheimer Allgemeine Zeitung, 10. Mai 2017