10. Mai 2017

Ein Mann greift ein

Der Landkreis hat gestern seinen Preis für Zivilcourage verliehen. Der Sarstedter Mark Lake hat ihn für sein mutiges Handeln bekommen: Dank ihm konnten drei Einbrecher auf frischer Tat ertappt werden - fast wie im Krimi.

Von Ulri­ke Kohrs

Es ist ein Tag wie jeder ande­re. Der allein­er­zie­hen­de Vater Mark Lake hat sei­ne neun­jäh­ri­ge Toch­ter zur Schu­le gebracht und gönnt sich eine Pau­se. Dass vor ihm ein auf­re­gen­der Vor­mit­tag liegt, der ihm ges­tern bei einer Fei­er­stun­de im Kreis­haus sogar einen beson­de­ren Preis beschert hat, ahnt der 55-Jäh­ri­ge damals nicht.

 

Es ist kurz nach neun Uhr an die­sem Tag im ver­gan­ge­nen Jahr. Lake hat den Fern­se­her ange­macht, um Nach­rich­ten zu schau­en. Doch der Mann ist abge­lenkt, er hört dump­fe Klopf­ge­räu­sche, immer wie­der. Der Sar­sted­ter blickt aus einem Dach­fens­ter sei­nes Ein­fa­mi­li­en­häus­chens und beob­ach­tet im Win­ter­gar­ten eines Nach­barn unbe­kann­te Per­so­nen. Lake wird stut­zig. „Vor sechs Mona­ten wur­de dort schon ein­mal ein­ge­bro­chen“, erzählt er am Ran­de der gest­ri­gen Fei­er­stun­de. Er selbst wur­de vor einem Jahr Opfer von Ein­bre­chern. Wäh­rend er in Eng­land im Urlaub war, räum­ten Unbe­kann­te sein Haus aus. „Ich bin vor­be­las­tet beim The­ma Ein­bruch“, sagt er.

 

Also zögert Lake an jenem Tag nicht lan­ge. Er greift zum Tele­fon und alar­miert die Poli­zei. „Ich war so auf­ge­regt. Mir fiel nicht mal die Not­ruf­num­mer ein“, sagt er. Glück­li­cher­wei­se hat er die Num­mer des Poli­zei­kom­mis­sa­ri­ats Sar­stedt aber in sei­nem Tele­fon ein­ge­spei­chert. Das ruft er an. Der wach­ha­ben­de Beam­te bit­tet den auf­merk­sa­men Anru­fer, die Vor­komm­nis­se im Nach­bar­haus wei­ter zu beob­ach­ten. Lake wird zum Ein­satz­lei­ter durch­ge­stellt und berich­tet dem nun fort­lau­fend, was sich neben­an tut. „Die­se Infor­ma­tio­nen waren für die Poli­zei Gold wert“, lobt Uwe Ippen­sen, Lei­ter der Poli­zei­in­spek­ti­on Hil­des­heim, gestern.

 

Über­haupt erfährt Lake am Diens­tag viel Zuspruch für sein Han­deln. „Er hat alles rich­tig gemacht“, bringt es Hel­fried Bas­se, Dezer­nats­lei­ter für Sicher­heit, Umwelt und Ord­nung beim Land­kreis, auf den Punkt. „Er hat die Augen auf­ge­hal­ten, die Poli­zei infor­miert und sich nicht selbst in Gefahr gebracht“, sagt Basse.

 

Lake bleibt am Tele­fon – bis die Poli­zei ein­trifft. Er beob­ach­tet, wie die Beam­ten sich dem Haus nähern, Flucht­we­ge abschnei­den, die Waf­fen zie­hen und die Täter schließ­lich auf fri­scher Tat fest­neh­men. Ein biss­chen fühlt er sich wie im Kri­mi. Lang­sam weicht die Angst aus sei­nen Glie­dern. Er ist begeis­tert, den Poli­zei­ein­satz beob­ach­ten zu kön­nen, zu sehen, wie schnell und sou­ve­rän die Täter ver­haf­tet wer­den. Erst als sie in Hand­schel­len abge­führt wer­den, legt Lake den Tele­fon­hö­rer auf. „Ich habe die gan­ze Zeit gere­det, dabei habe ich gar nicht gewusst, ob über­haupt noch jemand am ande­ren Ende der Lei­tung war“, erzählt er. Dass die Män­ner erwischt wur­den, gibt dem 55- Jäh­ri­gen ein gutes Gefühl. Und nicht nur ihm. Wenn Täter über­führt und bestraft wer­den, hel­fe das häu­fig den Opfern, die Tat bes­ser zu ver­ar­bei­ten, weiß Ippen­sen. „Zivil­cou­ra­ge ist ein wesent­li­cher Teil unse­rer gefühl­ten Sicher­heit“, sagt auch Mat­thi­as Kauf­mann, Geschäfts­füh­rer der Kreis­wohn­bau, die das Preis­geld in Höhe von 1000 Euro stiftet.

 

Ins­ge­samt acht Vor­schlä­ge gin­gen in die­sem Jahr für den Zivil­cou­ra­ge­preis ein. Eine Jury hat sich letzt­lich für Mark Lake ent­schie­den. „Stell­ver­tre­tend für all die­je­ni­gen, die Zivil­cou­ra­ge bewie­sen haben“, erklärt Land­rat Olaf Levo­nen, der dem Sar­sted­ter die Skulp­tur in Form einer Hand sowie eine Urkun­de überreicht.

 

Auch im kom­men­den Jahr soll der Preis ver­lie­hen wer­den. Vor­schlä­ge dafür wer­den ab sofort bei der Poli­zei unter der Ruf­num­mer 0 51 21 / 9 39-1 07 ent­ge­gen­ge­nom­men. Wei­te­re Infor­ma­tio­nen gibt es auf der Home­page des Landkreises.

 

Spektakuläre Fälle von Zivilcourage im Kreis Hildesheim – eine Auswahl

▶ Maja Hoff­mann (2013) beob­ach­tet am Haupt­bahn­hof, wie zwei Mäd­chen und ein Jun­ge eine wei­nen­de 14-Jäh­ri­ge bru­tal in eine Ecke drän­gen. Das Trio droht mit Schlä­gen und spricht davon, schon zuvor jeman­den fast tot­ge­schla­gen zu haben. Maja Hoff­mann stellt sich zwi­schen die drei Angrei­fer und ihr Opfer, bleibt bei ihm und beglei­tet es ein Stück im Zug.

▶ Ebru Akyol (2010) hilft der Poli­zei, einen Sexu­al­tä­ter zu über­füh­ren. Damals häu­fen sich Anzei­gen wegen sexu­el­ler Nöti­gung im Wäld­chen bei der Drei­bo­gen­brü­cke – auch Ebru Aykol und zwei Freun­din­nen tref­fen auf den jeweils beschrie­be­nen Rad­fah­rer. Er hält an und fragt, ob die Kin­der „mal etwas sehen“ wol­len, dann lässt er sei­ne Hose her­un­ter. Die Mäd­chen flüch­ten, infor­mie­ren die Poli­zei. Zwei Tage spä­ter spielt Ebru Aykol in der Nähe von Eilers Teich in Och­ter­sum, als der Exhi­bi­tio­nist von der Drei­bo­gen­brü­cke vor­bei­ra­delt. Die Zwölf­jäh­ri­ge greift erneut zum Handy.

▶ Athan­as­si­os Papa­ni­ko­laou (2009) bekommt mit, wie in sei­nem Restau­rant am Tro­cke­nen Kamp ein Bri­te und ein Ita­lie­ner in Streit gera­ten und hand­greif­lich wer­den. Der Bri­te geht nach Hau­se, holt einen Zwei-Kilo-Holz­ham­mer mit Eisen­be­schlag, lau­ert dem Ita­lie­ner an der Ecke auf. Papa­ni­ko­laou schwant Schlim­mes, er geht dem Ita­lie­ner nach, als er das Lokal ver­lässt. Der Bri­te schlägt den Ita­lie­ner mit dem Ham­mer ins Gesicht, der Mann bricht zusam­men. Papa­ni­ko­laou geht dazwi­schen, drängt den Täter weg von sei­nem Opfer.

▶ Sabi­ne Stobbs (2007) beob­ach­tet, wie an einer Bus­hal­te­stel­le an der Mari­en­bur­ger Stra­ße ein Mäd­chen aus dem Bus auf den Geh­weg stürzt. Ein Jun­ge reißt dem Mäd­chen die Tasche weg, sechs Jun­gen ver­fol­gen das Opfer, tre­ten und schla­gen es. Stobbs schreit die Jun­gen an, die las­sen dar­auf­hin vom Mäd­chen ab.

▶ Udo und Jut­ta Bert­ram (2006) stop­pen ihr Auto an der Mar­tin-Luther-Stra­ße, als sie an einer Tele­fon­zel­le eine schrei­en­de Schwan­ge­re sehen, die von einem Mann trak­tiert wird. Er zieht und zerrt an ihr. Jut­ta Bert­ram kur­belt das Fens­ter her­un­ter und lässt sie in den Wagen stei­gen. Udo Bert­ram steigt aus, ver­sucht, den aggres­si­ver wer­den­den Täter zu beru­hi­gen, hält ihn vom Auto fern und alar­miert die Polizei.

▶ Hans-Jür­gen Butt­lar und Han­na Hüb­ner (2003) sehen, wie ein Mann in der Fuß­gän­ger­zo­ne mit einem Mes­ser auf sei­ne Ex-Frau ein­sticht, sein Rott­wei­ler beißt das Opfer in die Hand. Das Opfer stürzt, der Täter schlägt erneut zu. Han­na Hüb­ner schubst den Täter zur Sei­te, Hans-Jür­gen Butt­lar brüllt ihn an: „Was soll das?“ – und zieht ihn von der schwer ver­letz­ten Frau weg.

▶ Mar­le­ne Lau­ten­sack (2001) sieht, wie ein Mann in der Fuß­gän­ger­zo­ne auf einen ande­ren ein­prü­gelt und ruft: „Auf der Stel­le las­sen Sie den jun­gen Mann los.“ Der Angrei­fer kommt auf sie zu und wis­pert: „Und Sie krie­gen gleich eine in die Fres­se“. Dann aber flieht er.

▶ Fred-Eck­hard Bin­der (1999) greift in eine bru­ta­le Schlä­ge­rei ein. Drei Män­ner gehen nahe der Andre­as- Pas­sa­ge auf­ein­an­der los, einer wird zu Boden geris­sen und getre­ten. Bin­der stürzt sich auf einen der Täter und bewahrt das Opfer vor wei­te­ren Schlä­gen. jaz

 

Alle wei­te­ren Preis­trä­ger fin­den Sie online unter www.hildesheimerallgemeine. de/zivilcourage.

 

Quel­le: Hil­des­hei­mer All­ge­mei­ne Zei­tung, 10. Mai 2017

 

Veröffentlicht unter 2017