Ein Mann greift ein
Der Landkreis hat gestern seinen Preis für Zivilcourage verliehen. Der Sarstedter Mark Lake hat ihn für sein mutiges Handeln bekommen: Dank ihm konnten drei Einbrecher auf frischer Tat ertappt werden - fast wie im Krimi.
Von Ulrike Kohrs
Es ist ein Tag wie jeder andere. Der alleinerziehende Vater Mark Lake hat seine neunjährige Tochter zur Schule gebracht und gönnt sich eine Pause. Dass vor ihm ein aufregender Vormittag liegt, der ihm gestern bei einer Feierstunde im Kreishaus sogar einen besonderen Preis beschert hat, ahnt der 55-Jährige damals nicht.
Es ist kurz nach neun Uhr an diesem Tag im vergangenen Jahr. Lake hat den Fernseher angemacht, um Nachrichten zu schauen. Doch der Mann ist abgelenkt, er hört dumpfe Klopfgeräusche, immer wieder. Der Sarstedter blickt aus einem Dachfenster seines Einfamilienhäuschens und beobachtet im Wintergarten eines Nachbarn unbekannte Personen. Lake wird stutzig. „Vor sechs Monaten wurde dort schon einmal eingebrochen“, erzählt er am Rande der gestrigen Feierstunde. Er selbst wurde vor einem Jahr Opfer von Einbrechern. Während er in England im Urlaub war, räumten Unbekannte sein Haus aus. „Ich bin vorbelastet beim Thema Einbruch“, sagt er.
Also zögert Lake an jenem Tag nicht lange. Er greift zum Telefon und alarmiert die Polizei. „Ich war so aufgeregt. Mir fiel nicht mal die Notrufnummer ein“, sagt er. Glücklicherweise hat er die Nummer des Polizeikommissariats Sarstedt aber in seinem Telefon eingespeichert. Das ruft er an. Der wachhabende Beamte bittet den aufmerksamen Anrufer, die Vorkommnisse im Nachbarhaus weiter zu beobachten. Lake wird zum Einsatzleiter durchgestellt und berichtet dem nun fortlaufend, was sich nebenan tut. „Diese Informationen waren für die Polizei Gold wert“, lobt Uwe Ippensen, Leiter der Polizeiinspektion Hildesheim, gestern.
Überhaupt erfährt Lake am Dienstag viel Zuspruch für sein Handeln. „Er hat alles richtig gemacht“, bringt es Helfried Basse, Dezernatsleiter für Sicherheit, Umwelt und Ordnung beim Landkreis, auf den Punkt. „Er hat die Augen aufgehalten, die Polizei informiert und sich nicht selbst in Gefahr gebracht“, sagt Basse.
Lake bleibt am Telefon – bis die Polizei eintrifft. Er beobachtet, wie die Beamten sich dem Haus nähern, Fluchtwege abschneiden, die Waffen ziehen und die Täter schließlich auf frischer Tat festnehmen. Ein bisschen fühlt er sich wie im Krimi. Langsam weicht die Angst aus seinen Gliedern. Er ist begeistert, den Polizeieinsatz beobachten zu können, zu sehen, wie schnell und souverän die Täter verhaftet werden. Erst als sie in Handschellen abgeführt werden, legt Lake den Telefonhörer auf. „Ich habe die ganze Zeit geredet, dabei habe ich gar nicht gewusst, ob überhaupt noch jemand am anderen Ende der Leitung war“, erzählt er. Dass die Männer erwischt wurden, gibt dem 55- Jährigen ein gutes Gefühl. Und nicht nur ihm. Wenn Täter überführt und bestraft werden, helfe das häufig den Opfern, die Tat besser zu verarbeiten, weiß Ippensen. „Zivilcourage ist ein wesentlicher Teil unserer gefühlten Sicherheit“, sagt auch Matthias Kaufmann, Geschäftsführer der Kreiswohnbau, die das Preisgeld in Höhe von 1000 Euro stiftet.
Insgesamt acht Vorschläge gingen in diesem Jahr für den Zivilcouragepreis ein. Eine Jury hat sich letztlich für Mark Lake entschieden. „Stellvertretend für all diejenigen, die Zivilcourage bewiesen haben“, erklärt Landrat Olaf Levonen, der dem Sarstedter die Skulptur in Form einer Hand sowie eine Urkunde überreicht.
Auch im kommenden Jahr soll der Preis verliehen werden. Vorschläge dafür werden ab sofort bei der Polizei unter der Rufnummer 0 51 21 / 9 39-1 07 entgegengenommen. Weitere Informationen gibt es auf der Homepage des Landkreises.
Spektakuläre Fälle von Zivilcourage im Kreis Hildesheim – eine Auswahl
▶ Maja Hoffmann (2013) beobachtet am Hauptbahnhof, wie zwei Mädchen und ein Junge eine weinende 14-Jährige brutal in eine Ecke drängen. Das Trio droht mit Schlägen und spricht davon, schon zuvor jemanden fast totgeschlagen zu haben. Maja Hoffmann stellt sich zwischen die drei Angreifer und ihr Opfer, bleibt bei ihm und begleitet es ein Stück im Zug.
▶ Ebru Akyol (2010) hilft der Polizei, einen Sexualtäter zu überführen. Damals häufen sich Anzeigen wegen sexueller Nötigung im Wäldchen bei der Dreibogenbrücke – auch Ebru Aykol und zwei Freundinnen treffen auf den jeweils beschriebenen Radfahrer. Er hält an und fragt, ob die Kinder „mal etwas sehen“ wollen, dann lässt er seine Hose herunter. Die Mädchen flüchten, informieren die Polizei. Zwei Tage später spielt Ebru Aykol in der Nähe von Eilers Teich in Ochtersum, als der Exhibitionist von der Dreibogenbrücke vorbeiradelt. Die Zwölfjährige greift erneut zum Handy.
▶ Athanassios Papanikolaou (2009) bekommt mit, wie in seinem Restaurant am Trockenen Kamp ein Brite und ein Italiener in Streit geraten und handgreiflich werden. Der Brite geht nach Hause, holt einen Zwei-Kilo-Holzhammer mit Eisenbeschlag, lauert dem Italiener an der Ecke auf. Papanikolaou schwant Schlimmes, er geht dem Italiener nach, als er das Lokal verlässt. Der Brite schlägt den Italiener mit dem Hammer ins Gesicht, der Mann bricht zusammen. Papanikolaou geht dazwischen, drängt den Täter weg von seinem Opfer.
▶ Sabine Stobbs (2007) beobachtet, wie an einer Bushaltestelle an der Marienburger Straße ein Mädchen aus dem Bus auf den Gehweg stürzt. Ein Junge reißt dem Mädchen die Tasche weg, sechs Jungen verfolgen das Opfer, treten und schlagen es. Stobbs schreit die Jungen an, die lassen daraufhin vom Mädchen ab.
▶ Udo und Jutta Bertram (2006) stoppen ihr Auto an der Martin-Luther-Straße, als sie an einer Telefonzelle eine schreiende Schwangere sehen, die von einem Mann traktiert wird. Er zieht und zerrt an ihr. Jutta Bertram kurbelt das Fenster herunter und lässt sie in den Wagen steigen. Udo Bertram steigt aus, versucht, den aggressiver werdenden Täter zu beruhigen, hält ihn vom Auto fern und alarmiert die Polizei.
▶ Hans-Jürgen Buttlar und Hanna Hübner (2003) sehen, wie ein Mann in der Fußgängerzone mit einem Messer auf seine Ex-Frau einsticht, sein Rottweiler beißt das Opfer in die Hand. Das Opfer stürzt, der Täter schlägt erneut zu. Hanna Hübner schubst den Täter zur Seite, Hans-Jürgen Buttlar brüllt ihn an: „Was soll das?“ – und zieht ihn von der schwer verletzten Frau weg.
▶ Marlene Lautensack (2001) sieht, wie ein Mann in der Fußgängerzone auf einen anderen einprügelt und ruft: „Auf der Stelle lassen Sie den jungen Mann los.“ Der Angreifer kommt auf sie zu und wispert: „Und Sie kriegen gleich eine in die Fresse“. Dann aber flieht er.
▶ Fred-Eckhard Binder (1999) greift in eine brutale Schlägerei ein. Drei Männer gehen nahe der Andreas- Passage aufeinander los, einer wird zu Boden gerissen und getreten. Binder stürzt sich auf einen der Täter und bewahrt das Opfer vor weiteren Schlägen. jaz
Alle weiteren Preisträger finden Sie online unter www.hildesheimerallgemeine. de/zivilcourage.
Quelle: Hildesheimer Allgemeine Zeitung, 10. Mai 2017