Der alte Tresor sucht noch neuen Mieter
Kreiswohnbau saniert den Gebäudekomplex zwischen Kaiserstraße und Speicherstraße und zieht dann selbst ein
Von Marita Zimmerhof
Hildesheim. Im Dachgeschoss haben die Handwerker bereits ganze Arbeit geleistet. Mit Atemmaske vor dem Gesicht und Vorschlaghämmern in der Hand haben sie die alten Rigipsdecken abgeschlagen und das staubige Gebälk dahinter freigelegt. Dennoch sind die Räume auch jetzt noch so flach, dass großgewachsene Männer unweigerlich den Kopf einziehen, wenn sie dieses Stockwerk betreten. Nun aber will die Kreiswohnbau (KWG) das alte Kreishaus in der Kaiserstraße vom Muff der Nachkriegsjahre, der hier noch überall spürbar ist, befreien und zu einem modernen Bürohaus umbauen.
Bevor 1989 das neue Kreishaus in der Bischof-Janssen-Straße entstand, wurden von hier aus über fast vier Jahrzehnte die Geschicke des Landkreises gesteuert. Das Gebäude, das Zugänge sowohl von der Kaiserstraße als auch von der Speicherstraße hat, ist aber weit älter: Der erste Teil stammt aus der Zeit um 1910. 1928 und 1938 wurde es erweitert, 1952 dann auch die Dachterrasse, die sich bis dahin noch über dem turmartigen Erker an der Gebäudespitze befand, mit Bürofläche überbaut.
Seit dem Auszug der meisten Verwaltungseinheiten aber ist die Zeit hier nahezu stehengeblieben. Gesprenkelter Stragula auf dem Boden, klobige Rippenheizkörper an der Wand und abgetretene Schwellen vor den Zimmertüren. Zuletzt hat das Jobcenter einige Räume belegt, ist Ende März aber in den Hohen Weg umgezogen. Nur der Kreisjägermeister hat am hintersten Ende der neuen Großbaustelle noch drei Zimmer.
Als der Landkreis vor fünf Jahren über die weitere Nutzung des weitläufigen Gebäudes nachsann, war Landrat Reiner Wegner schnell klar, dass ein solches Mammutprojekt in die Hände von Profis gehört. „Der Investitionsbedarf ist erheblich.“ Da passte es gut, dass die Kreiswohnbau als größtes Wohnungsbauunternehmen im Landkreis mit einem neuen Firmensitz liebäugelte. Ihre Zentrale in der Kaiserstraße 21 ist ebenfalls nicht mehr zeitgemäß, die Büros der 22 hier beschäftigten Mitarbeiter erstrecken sich über vier Etagen, von denen keine einzige barrierefrei zu erreichen ist. „Ausgerechnet für ein Wohnungsbauunternehmen, wo auch Mütter mit Kinderwagen und Senioren mit Rollatoren hinkommen, sehr ungünstig“, sagt Geschäftsführer Matthias Kaufmann.
Für eine öffentlich nicht genannte Summe wechselte das Kreishaus in die Hände der KWG, bei der der Landkreis ohnehin Mehrheitsgesellschafter ist. In einem ersten Schritt wurde an der Speicherstraße ein gläserner Fahrstuhl eingebaut, der in seiner modernen Anmutung momentan noch wie ein Sendbote aus der Zukunft aussieht. Erhebliches Geld floss auch in den Brandschutz. Und schließlich musste die KWG außerplanmäßig einiges Geld für die Gebäudesicherung ausgeben: Der hintere Teil des alten Kreishauses steht auf nicht tragfähigem Grund im Einflussbereich der Treibe. Daumenbreite Risse zogen sich an vielen Stellen des Hauses durch das Mauerwerk. Der Untergrund ist nun stabilisiert, der Prozess sei damit gestoppt, versichert Architekt Matthias Jung, der die Projektplanung übernommen hat.
1,5 Millionen Euro hat die KWG bereits investiert, weitere 2,5 Millionen Euro sollen noch folgen. Dafür bekommt das Kreishaus eine neue, moderne Fassade, die optisch in mehrere Bereiche aus hellem Putz und Klinker gegliedert ist. Die winzigen Dachgauben werden gegen breite Fensterfronten ausgetauscht, und auch die alte Dachterrasse soll andeutungsweise wieder zu sehen sein: Das oberste Stockwerk wird angehoben, etwas zurückgesetzt und mit einem Flachdach versehen. Vor einem breiten Fensterband soll es einen Umlauf an der frischen Luft geben.
Besonders gespannt sind Kaufmann, Wegener und der KWG-Aufsichtsratsvorsitzende Klaus Bruer auf Jungs Pläne für den kleinen Innenhof: Bislang blickt man von hier aus auf die blätternde Farbe der Fassade, auf alte Leitungen über Putz. Jung will die Fläche begrünen, die Fenster zum Hof gegen bodentiefe Scheiben austauschen, um so Sonnenlicht ins Gebäude zu bringen und zugleich den Wohlfühlfaktor zu erhöhen. „Hier würde sich ja auch ein kleiner Springbrunnen gut machen“, scherzt Wegner bei der Ortsbesichtigung.
Das Dachgeschoss wird die Kreiswohnbau selbst beziehen, im ersten Obergeschoss will der Landkreis Teile der Kreisverwaltung unterbringen – die über die „Beamtenlaufbahn“ in der Speicherstraße trockenen Fußes das Hauptgebäude erreichen kann. Für das Erdgeschoss und das zweite Obergeschoss sucht Kaufmann noch Mieter: Jede Etage hat 600 Quadratmeter Fläche, kann als Ganzes oder zu Teilen gemietet werden. „Wir führen bereits Gespräche mit ersten Interessenten.“
Im Keller hat der KWG-Chef sogar noch eine ganz besondere Liegenschaft anzubieten: den alten Tresorraum, in dem der Landkreis einst wichtige Dokumente wie Pässe gelagert hat. Der Raum hinter der schweren Stahltür mit Zahlenschloss und Sicherungsbolzen misst stattliche 60 Quadratmeter und ist trotz seiner Kellerlage pulvertrocken.
Was aus dem ehemaligen Sitzungssaal wird, ist noch nicht entschieden. Das Würfelparkett ist abgetreten, die beiden großen Radleuchter unter der Decke entsprechen nicht mehr heutigem Geschmack. Und die leicht angerosteten Fahnenhalter an den kleinen Balkonen braucht ein Immobilienunternehmen auch nicht wirklich. Noch sind nicht alle Details entschieden. In den kommenden sechs Wochen wird jedenfalls noch kräftig ab- und eingerissen – ehe dann der Wiederaufbau beginnt. Im März 2017 soll der Umbau abgeschlossen sein. Spätestens dann muss sich Kaufmann überlegen, wie er die alte KWG-Geschäftsstelle verwerten will.
Quelle: Hildesheimer Allgemeine Zeitung, 21. April 2016