08. April 2019

Mit Enteignungen gegen die Wohnungsnot? Land winkt ab

Niedersachsens Bauminister Lies (SPD): Es gibt bessere Mittel gegen Spekulation und Wucher / Demonstrationen in ganz Deutschland

Von Gor­don Repin­ski und Micha­el B. Berger

Han­no­ver. Fami­li­en fin­den kei­ne Woh­nun­gen, Älte­re haben Angst, die Mie­te nicht mehr zah­len zu kön­nen – die Wut über stark stei­gen­de Mie­ten hat am Sonn­abend Zehn­tau­sen­de Men­schen in deut­schen Städ­ten auf die Stra­ße getrie­ben. In Ber­lin, wo das Pro­blem wie in vie­len Groß­städ­ten beson­ders dra­ma­tisch ist, begann zugleich ein bis­lang ein­ma­li­ges Volks­be­geh­ren zur Ent­eig­nung gro­ßer Wohnungskonzerne.

 

Poli­ti­ker von SPD, Grü­nen und Links­par­tei hal­ten sol­che Ent­eig­nun­gen für denk­bar. Der stell­ver­tre­ten­de SPD-Chef Ralf Ste­g­ner ver­tei­dig­te sie als letz­tes „Not­wehr­recht“ des Staa­tes. Ste­g­ner sag­te unse­rem Redak­ti­ons­Netz­werk Deutsch­land (RND): „Es gibt teil­wei­se halb­kri­mi­nel­les Ver­hal­ten, bei dem die Not der Mie­ter aus­ge­nutzt wird. In die­sen Fäl­len muss der Staat Hand­lungs­fä­hig­keit bewei­sen.“ SPD-Che­fin Andrea Nah­les hat­te zuvor erklärt, Ent­eig­nun­gen dau­er­ten Jah­re und schaff­ten kei­ne ein­zi­ge Wohnung.

 

Grü­nen-Chef Robert Habeck dage­gen hält Ent­eig­nun­gen prin­zi­pi­ell für denk­bar. Wenn etwa Eigen­tü­mer brach­lie­gen­der Grund­stü­cke weder bau­en noch an die Stadt ver­kau­fen woll­ten, müs­se not­falls die Ent­eig­nung fol­gen, sag­te er der „Welt am Sonn­tag“. Auch Lin­ken- Che­fin Kat­ja Kip­ping ist für Ent­eig­nun­gen, wie sie gegen­über dem RND deut­lich machte.

 

Nie­der­sach­sens Umwelt- und Bau­mi­nis­ter Olaf Lies (SPD) beton­te dem­ge­gen­über, „der Staat soll­te vor­sich­tig sein, so etwas als sei­ne vor­ran­gi­ge Auf­ga­be zu betrach­ten. Es gibt bes­se­re Mit­tel, um gegen Spe­ku­la­ti­on und Wucher vor­zu­ge­hen“, sag­te Lies der HAZ. Zudem täten die Län­der schon eini­ges. „Wir brin­gen eine Wohn­raum­schutz­ver­ord­nung auf den Weg, die es Kom­mu­nen ermög­licht, etwas gegen Leer­stand und Immo­bi­li­en­spe­ku­la­ti­on zu unter­neh­men.“ Dass es aber über­haupt zu der Woh­nungs­not vor allem in den gro­ßen Städ­ten gekom­men sei, sei ein Ver­sa­gen des Staa­tes in der Woh­nungs­bau­po­li­tik der letz­ten Jah­re. Lies erklär­te, dass Bund und Land in Nie­der­sach­sen etwa 1,5 Mil­li­ar­den Euro in den sozia­len Woh­nungs­bau inves­tie­ren wür­den, um Boden wett­zu­ma­chen. „Hier geht es um Neu­bau, und zwar um bezahl­ba­ren Wohnraum.“

 

Der Oppo­si­ti­on im nie­der­säch­si­schen Land­tag rei­chen die­se Maß­nah­men noch nicht aus. „In Nie­der­sach­sen feh­len bis zu 500 000 Woh­nun­gen, da muss man sich noch mehr anstren­gen“, sag­te der woh­nungs­po­li­ti­sche Spre­cher der Grü­nen, Chris­ti­an Mey­er, der HAZ. Er wies dar­auf hin, dass das Recht auf Ent­eig­nung sogar in der Lan­des­ver­fas­sung ste­he. Wich­ti­ger wäre im Augen­blick aber, dass das Land wie­der eine eige­ne Lan­des­bau­ge­sell­schaft grün­de, um den Sozi­al­woh­nungs­bau anzukurbeln.

 

Rund 55 000 Men­schen demons­trier­ten laut Ver­an­stal­tern am Sonn­abend in 19 deut­schen Städ­ten gegen explo­die­ren­de Mie­ten. Die größ­te Kund­ge­bung fand in Ber­lin mit 40 000 Teil­neh­mern statt, in Han­no­ver kamen 150 Menschen.

Volksbegehren in Berlin

Die Initia­to­ren des Volks­be­geh­rens wol­len in Ber­lin auf Lan­des­ebe­ne ein Gesetz, das Ent­eig­nun­gen ermög­licht. Ziel ist die Ent­eig­nung gewinn­ori­en­tier­ter Immo­bi­li­en­kon­zer­ne mit mehr als 3000 Woh­nun­gen. Etwa ein Dut­zend Unter­neh­men in Ber­lin mit rund 240 000 Woh­nun­gen wären wohl betrof­fen – rund 15 Pro­zent des gesam­ten Miet­woh­nungs­be­stan­des. Um das Volks­be­geh­ren ein­lei­ten zu kön­nen, müs­sen zunächst min­des­tens 20 000 Unter­schrif­ten zusammenkommen.

 

LEITARTIKEL

Von Timot Szent-Ivanyi

Enteignung löst keine Probleme

Für die Ber­li­ner Initia­ti­ve „Spe­ku­la­tio­nen bekämp­fen – Deut­sche Woh­nen & Co. ent­eig­nen“ lie­gen die Din­ge auf der Hand: Mit Woh­nun­gen dür­fe nicht spe­ku­liert wer­den, weil das Woh­nen zu den Grund­be­dürf­nis­sen gehört. Eine Bedro­hung der Unter­kunft sei mit­hin eine Bedro­hung der Men­schen­wür­de. Des­halb müss­ten Groß­ver­mie­ter ver­staat­licht wer­den. Wer ver­sucht, in Groß­städ­ten wie Ber­lin, Mün­chen oder Köln eine bezahl­ba­re Blei­be zu fin­den, wird das unter­stüt­zen. Hun­der­te Bewer­ber bei einer Besich­ti­gung sind kei­ne Sel­ten­heit, son­dern die Regel. Wer das Pech hat, eine zu einem Bör­sen­kon­zern gehö­ren­de Woh­nung zu mie­ten, die kom­plett ver­nach­läs­sigt wird, dürf­te eben­falls zustim­men. Was zunächst als Idee lin­ker Spin­ner abge­tan wur­de, stößt inzwi­schen auf immer grö­ße­re Sym­pa­thie in der Bevöl­ke­rung. Die Idee einer Ent­eig­nung klingt logisch und kon­se­quent. Doch sie greift zu kurz.

 

Die Kon­zer­ne müss­ten ent­schä­digt wer­den – mit Geld, das dann für den sozia­len Woh­nungs­bau fehlt.“

 

Zwar kön­nen sich die Befür­wor­ter auf das Grund­ge­setz beru­fen. Dort bestimmt Arti­kel 15 unter dem Titel „Ver­ge­sell­schaf­tung“ ein­deu­tig, dass Grund und Boden „in Gemein­ei­gen­tum oder in ande­re For­men der Gemein­wirt­schaft über­führt wer­den“ kön­ne. Als Gegen­ar­gu­ment kann auch nicht gel­ten, dass der Arti­kel noch nie ange­wen­det wur­de. Tat­säch­lich haben ihn die Müt­ter und Väter des Grund­ge­set­zes ganz bewusst in die Ver­fas­sung geschrie­ben, um die Mög­lich­kei­ten des sozia­len Rechts­staa­tes aufzuzeigen.

 

Doch klar ist: Ein der­art rabia­ter Zugriff auf das vom Grund­ge­setz beson­ders geschütz­te Eigen­tum bedarf einer umfas­sen­den Begrün­dung. Hier kommt es vor allem auf die Fra­ge an, ob durch eine Ver­staat­li­chung die Miss­stän­de tat­säch­lich beho­ben wer­den kön­nen. Das muss aber stark bezwei­felt werden.

 

Wer­den ein­zel­ne Groß­ver­mie­ter ent­eig­net, kön­nen zwar die betrof­fe­nen Mie­ter ent­las­tet wer­den. Doch für die Woh­nungs­su­chen­den steht kei­ne ein­zi­ge Blei­be mehr zur Ver­fü­gung. Im Gegen­teil: Die ent­eig­ne­ten Kon­zer­ne müs­sen schließ­lich ent­schä­digt wer­den. Schät­zun­gen gehen davon aus, dass das die Steu­er­zah­ler bis zu 36 Mil­li­ar­den Euro kos­ten wür­de – Geld, das dann für den sozia­len Woh­nungs­bau feh­len wür­de. Mit die­sen Mit­teln lie­ßen sich Zehn­tau­sen­de Sozi­al­woh­nun­gen bezah­len. Hin­zu kommt, dass Ent­eig­nun­gen jeg­li­che Inves­to­ren abschre­cken wür­den – auch die­je­ni­gen, die Woh­nun­gen nicht als Spe­ku­la­ti­ons­ob­jekt betrach­ten. Das dürf­te die Lage für die Mie­ter wei­ter verschärfen.

 

Immer­hin för­dert die Initia­ti­ve eine brei­te gesell­schaft­li­che Debat­te und zwingt die Poli­tik dazu, end­lich nach gang­ba­ren Wegen zu suchen, die Woh­nungs­mi­se­re zu lösen. Dazu gehört neben dem Bau von Sozi­al­woh­nun­gen eine Miet­preis­brem­se, die den Namen auch verdient.

 

 

 

KOMMENTAR

Von Gor­don Repinski

Der klare Gegner

Sahra Wagen­knecht macht es sich leicht, wenn sie ihrer Par­tei Distanz zur eige­nen Wäh­ler­schicht unter­stellt. Beson­ders, da sie sich inzwi­schen von der Außen­li­nie der Poli­tik zu Wort mel­det. Kaum jemand hat in den ver­gan­ge­nen Jah­ren den Kurs der Links­par­tei so maß­geb­lich gesteu­ert wie Wagen­knecht selbst. Eine Kri­tik am Zustand der Par­tei ist damit zugleich eine Kri­tik an ihrer eige­nen Arbeit. Aber stimmt es über­haupt, dass sich die Links­par­tei von den Inter­es­sen der klei­nen Leu­te ent­fernt hat?

 

Rich­tig ist, dass Tei­le der sozia­len Unter­schicht heu­te emp­fäng­li­cher für natio­na­lis­ti­sches Gedan­ken­gut sind als noch vor eini­gen Jah­ren. Wo die Links­par­tei frü­her Volks­par­tei des Ostens war und mit Sozi­al­po­pu­lis­mus Unzu­frie­den­heit auf­fan­gen konn­te, punk­tet heu­te die AfD mit noch stei­le­ren The­sen und dem geziel­ten Schü­ren von Ängsten.

 

Sahra Wagen­knecht hat immer wie­der ver­sucht, die­se Wäh­ler zurück zur Links­par­tei zu zie­hen. Sie hat mit Res­sen­ti­ments gespielt und gera­de in der Migra­ti­ons­fra­ge die Gren­zen zum Rechts­po­pu­lis­mus aus­ge­tes­tet. Aber ihr ist es damit ergan­gen wie frü­her der SPD mit der Links­par­tei: Das Ori­gi­nal konn­te immer noch etwas radi­ka­ler sein.

 

Das Dilem­ma der Links­par­tei ist, dass es im Feld des poli­ti­schen Popu­lis­mus ins­ge­samt enger gewor­den ist. Da ist die AfD am rech­ten Rand des Spek­trums, und in der lin­ken Mit­te rückt die SPD stück­wei­se vom Rea­lis­mus der Regie­rungs­jah­re ab. Die Links­par­tei muss der­art bedrängt ihren Platz neu suchen. Dabei wäre es gar nicht so kom­pli­ziert: Erst­mals seit dem Zwei­ten Welt­krieg sit­zen im Bun­des­tag durch die AfD Poli­ti­ker mit teil­wei­se rechts­extre­men Gesin­nun­gen. Einen kla­re­ren Geg­ner kann es für die Links­par­tei gar nicht geben.

 

Quel­le: Hil­des­hei­mer All­ge­mei­ne Zei­tung, 08. April 2019

Veröffentlicht unter 2019