06. Juli 2013

Studenten-Wohnheime für Rentner?

Pestel-Institut fordert mehr günstigen Wohnraum für arme und pflegebedürftige Senioren

Kreis Hil­des­heim (abu). In Stadt und Land­kreis Hil­des­heim feh­len gut 10 000 güns­ti­ge, senio­ren­ge­rech­te Woh­nun­gen. Zu die­sem Ergeb­nis kommt das Han­no­ve­ra­ner Pest­el-Insti­tut in einer aktu­el­len Stu­die. Vor Ort stößt die Ana­ly­se zumin­dest auf grund­sätz­li­che Zustim­mung: Mat­thi­as Kauf­mann, Geschäfts­füh­rer der Kreis­wohn­bau und damit des größ­ten Ver­mie­ters in der Regi­on, spricht von „der viel­leicht größ­ten Auf­ga­be der nächs­ten Jah­re“. Die betrifft aller­dings alle Woh­nungs-Besit­zer. Beim Land­kreis begeg­net man der Stu­die in einer ers­ten Reak­ti­on etwas reservierter.

 

Was lan­ge kein Hin­der­nis war, kann im Alter zur Fal­le wer­den: Exper­ten for­dern, mehr Woh­nun­gen senio­ren­ge­recht umzubauen.

Die Wis­sen­schaft­ler aus Han­no­ver haben für ihre Arbeit auf die neu­en Zen­sus-Zah­len zurück­ge­grif­fen. So wür­den im Jahr 2035 rund 79 000 Men­schen über 65 in Stadt und Land­kreis leben, ein Plus von etwa 30 Pro­zent. „In die­sem Zuge wird auch die Zahl der Pfle­ge­be­dürf­ti­gen rasant wach­sen“, sagt Pest­el-Stu­di­en­lei­ter Mat­thi­as Gün­ther. 14 240 Pfle­ge­be­dürf­ti­ge sol­len 2035 in der Regi­on leben, hat der Sar­sted­ter hochgerechnet.

 

Es wird also höchs­te Zeit, bar­rie­re­ar­me Woh­nun­gen für Senio­ren zu schaf­fen. Ziel muss es sein, die älte­ren Men­schen so lan­ge wie mög­lich in ihren eige­nen vier Wän­den woh­nen zu las­sen“, sagt Gün­ther. „Auch dann noch, wenn sie dort ambu­lant gepflegt wer­den müs­sen.“ Die Alter­na­ti­ve sei der Umzug ins Pfle­ge­heim. Genau das wol­len vie­le Älte­re aber nicht“, so der Studienleiter.

 

Zudem füh­re die sta­tio­nä­re Pfle­ge im Heim zu enor­men Mehr­kos­ten. Ein Pfle­ge­platz im Heim kos­te – im Ver­gleich zur ambu­lan­ten Pfle­ge zu Hau­se – pro Jahr rund 7200 Euro mehr. Die­se Zahl setzt Gün­ther ins Ver­hält­nis dazu, was es kos­tet, eine Woh­nung alters­ge­recht zu sanie­ren. „Im Durch­schnitt kos­tet das einem Gut­ach­ten des Bun­des­ver­kehrs­mi­nis­te­ri­ums zufol­ge 15 600 Euro.“ Rein wirt­schaft­lich betrach­tet loh­ne es sich also für Bau­ge­sell­schaf­ten wie Pri­vat­leu­te, in das alters­ge­rech­te Bau­en und Sanie­ren zu inves­tie­ren. „Schon mit der Ein­spa­rung der Extra­kos­ten für die Heim­pfle­ge lässt sich eine senio­ren­ge­rech­te Woh­nungs­sa­nie­rung in gut zwei Jah­ren finanzieren.“

 

Aller­dings: Von die­ser Ein­spa­rung hat der Immo­bi­li­en­be­sit­zer, der eine Woh­nung umbaut nichts – viel­mehr pro­fi­tiert erst ein­mal die Pfle­ge­kas­se. Des­halb for­dert das Pest­el-Insti­tut den Bund auf, den alters­ge­rech­ten Umbau von Woh­nun­gen wie­der zu för­dern – ein ent­spre­chen­des Pro­gramm war vor eini­gen Jah­ren ersatz­los aus­ge­lau­fen. Nötig sei­en direk­te Bau-Zuschüs­se zusätz­lich zur För­de­rung durch die Kre­dit­bank für Wie­der­auf­bau (KfW). Gün­ther iro­nisch: „Ein Kre­dit mit 20 Jah­ren Lauf­zeit stößt bei einem Sieb­zig­jäh­ri­gen in der Regel nur auf wenig Interesse.“

 

Die­se Kri­tik dürf­te ganz im Sin­ne der Auf­trag­ge­ber der Stu­die sein. Dar­un­ter sind der Bund Deut­scher Bau­meis­ter, Archi­tek­ten und Inge­nieu­re, die Gewerk­schaft Bau­en-Agrar-Umwelt, die Deut­sche Gesell­schaft für Mau­er­werks­und Woh­nungs­bau und der Bun­des­ver­band Deut­scher Bau­stoff-Fach­han­del. Lau­ter Ver­bän­de also, deren Mit­glie­der von höhe­ren Bau-Inves­ti­tio­nen auch pro­fi­tie­ren wür­den. Bei Fach­leu­ten im Kreis­haus stößt die Ana­ly­se des­halb auf Skep­sis. All­zu dra­ma­tisch fal­le sie aus. Tat­säch­lich for­dert das Pest­el-Insti­tut allein im Land­kreis Hil­des­heim Inves­ti­tio­nen von 159 Mil­lio­nen Euro – und zwar nicht bis 2035, son­dern mög­lichst schnell.

 

Auf Nach­fra­ge beton­te Gün­ther, es gehe ihm nicht nur um die Anzahl der Senio­ren, son­dern auch um deren finan­zi­el­le Mög­lich­kei­ten: „Arbeits­mi­nis­te­rin Ursu­la von der Ley­en rech­net damit, dass bald die Hälf­te aller Rent­ner auf Grund­si­che­rung ange­wie­sen ist.“ Des­halb müss­ten die Woh­nun­gen nicht nur bar­rie­re­arm, son­dern auch klein sein. „Bei Neu­bau­ten könn­te es sogar in Rich­tung Stu­den­ten-Wohn­heim mit 20-Qua­drat­me­ter- Zim­mer und eige­nem Bad, aber Gemein­schafts­kü­che gehen“, glaubt er. „Wenn es bezahl­bar blei­ben soll, geht es nur über weni­ger Flä­che.“ Auch alte Indus­trie­hal­len eig­ne­ten sich her­vor­ra­gend dazu, künf­tig der­art genutzt zu wer­den: „Es gibt schon eine soli­de Hül­le und eine gute Sta­tik, fehlt nur der Innen­aus­bau.“ Das klin­ge zwar zunächst lieb­los, es gebe aber schon vie­le gute Beispielprojekte.

 

Kreis­wohn­bau-Geschäfts­füh­rer Mat­thi­as Kauf­mann reagiert inter­es­siert auf die Stu­die: „Vom Grund­satz her ent­spricht das unse­rer eige­nen Wahr­neh­mung, auch wenn wir es dif­fe­ren­zier­ter betrach­ten“, sagt er. „Sicher ist, dass es eine Men­ge zu tun gibt in die­sem Bereich, es herrscht abso­lu­ter Hand­lungs­be­darf, und wir haben auch schon ange­fan­gen.“ Auch wenn er am Schnitt von 15 600 Euro pro Woh­nung sei­ne Zwei­fel habe.

 

Jeden­falls ver­su­che die Kreis­wohn­bau schon jetzt, vor allem Woh­nun­gen im Erd­ge­schoss und im ers­ten Stock bar­rie­re­arm zu gestal­ten. Er tei­le auch Gün­thers Ansicht, dass vie­le Senio­ren durch­aus noch gut die Trep­pe hoch und run­ter kom­men, aber leich­ter mal in der eige­nen Woh­nung stür­zen, beson­ders im Bad.

 

Das Pest­el-Insti­tut selbst lei­tet aus sei­ner Stu­die in ers­ter Linie die poli­ti­sche For­de­rung nach För­der­geld ab, aber auch einen Hin­weis an den pri­va­ten Wohn­haus-Eigen­tü­mer: „Wer alters­ge­rech­te Woh­nun­gen schafft, dürf­te in den kom­men­den Jah­ren mit einer immer grö­ße­ren Nach­fra­ge rechnen.“

 

Wem was gehört

Die Mehr­heit der ins­ge­samt rund 65 000 Woh­nun­gen in Stadt und Land­kreis Hil­des­heim ist in Pri­vat­be­sitz. Ledig­lich 14 000 (8500 in der Stadt, 5500 im Land­kreis) oder rund 20 Pro­zent gehö­ren gro­ßen Gesell­schaf­ten wie Kreis­wohn­bau, GBG, Wie­der­auf­bau, Beam­ten-Woh­nungs­ver­ein (BWV), Woh­nungs­bau­ge­nos­sen­schaft Alfeld oder Bau­ver­ein Sar­stedt. Die über­wäl­ti­gen­de Mehr­heit der Woh­nun­gen wird nicht vom Eigen­tü­mer bewohnt, son­dern ist vermietet.

 

Quel­le: Hil­des­hei­mer All­ge­mei­ne Zei­tung, 5. Juli 2013

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