Am Ende allein
Einsamkeit im Alter ist auch in Hildesheim ein Thema / Todesfälle werden aber meist schnell bemerkt
Hildesheim (rei). In einem Mehrparteienhaus stirbt eine alte Dame und niemand bekommt davon etwas mit. Erst nach Wochen wird die Leiche gefunden – und plötzlich fragen sich die Nachbarn: Hätte das auch mir passieren können?
Ja – sagt zumindest die Statistik. Dass sich der geschilderte Fall ausgerechnet im vermeintlich geschützten Umfeld einer Senioren-Wohnanlage ereignet hat (diese Zeitung berichtete), verleiht ihm eine besondere Tragik. Doch in dem Maß, in dem immer mehr Menschen bis ins hohe Alter allein leben können, steigt auch die Wahrscheinlichkeit, dass sie irgendwann allein sterben. Mehr als 26 000 Hildesheimer wohnen in Ein-Personen-Haushalten, etwa ein Drittel von ihnen ist im Rentenalter. In den vergangenen fünf Jahren ist die Zahl der allein lebenden Senioren im Stadtgebiet um mehr als 400 gestiegen. Denjenigen unter ihnen, die keine Angehörigen und wenig soziale Kontakte haben, bleibt nur die Hoffnung, dass aufmerksamen Nachbarn eher früher als später auffällt, wenn etwas nicht stimmt.
In der Regel ist das auch so, berichtet Holger Wolpers von der Hildesheimer Berufsfeuerwehr. Er und seine Kollegen werden gerufen, wenn irgendwo der Briefkasten überquillt, die Zeitung in der Rolle liegenbleibt oder ein Pflegedienst vor verschlossenen Türen steht. „Dass wir dann in der Wohnung einen Toten finden, kommt häufiger mal vor“, sagt Wolpers. In den allermeisten Fällen liege der Todeszeitpunkt dann erst wenige Stunden, maximal ein oder zwei Tage zurück. „Dass wir eine Leiche im häuslichen Umfeld erst nach Wochen oder Monaten finden, passiert maximal ein- oder zweimal im Jahr.“
Doch diese Zahlen könnten steigen, befürchtet Mathias Kaufmann, Geschäftsführer der Kreiswohnbaugesellschaft. Ältere Menschen stellen dort einen erheblichen Teil der Mieter – gut ein Zehntel der 4250 Wohnungen ist an Menschen vermietet, die mit 80 Jahren und mehr zum Kreis der Hochbetagten zählen. Ähnlich sind die Zahlen bei der Gemeinnützigen Baugesellschaft (gbg). Dort sind nach Angaben von Pressesprecher Frank Satow etwa 15 Prozent der Kunden 75 Jahre und älter.
„Und leider kommt es immer häufiger vor, dass Menschen im Alter relativ isoliert leben“, hat Kaufmann beobachtet. Den Wohnungsunternehmen fällt das, so makaber es klingt, oft erst dann auf, wenn ein Mieter stirbt und keine Angehörigen da sind, um die Wohnung zu räumen. Denn dann bleibt der Vermieter auf den Entrümpelungs- und Reinigungskosten sitzen.
„Aber auch darüberhinaus haben wir uns Gedanken gemacht, inwieweit wir eine soziale Verantwortung gegenüber unseren Mietern haben“, sagt Kaufmann. In Zusammenarbeit mit einem Pflegedienst bietet sein Unternehmen älteren Menschen an, ein Notrufsystem in der Wohnung zu installieren – was viele Senioren aber ablehnen. Die gbg setzt auf regelmäßige Informationsveranstaltungen für ältere Mieter, auf ihre Betreuungsangebote in der Seniorenwohnanlage Drispenstedt – vor allem aber auf soziale Kontrolle innerhalb der Hausgemeinschaften. Die Kreiswohnbau hat zusätzlich alle Mitarbeiter instruiert, in den Wohnungen auf Anzeichen von Verwahrlosung zu achten. „Das betrifft insbesondere Hauswarte und Handwerker, die regelmäßig zu Reparatur- oder Wartungsbesuchen vor Ort sind“, sagt Kaufmann. Sollte ein Mieter den Anschein erwecken, nicht mehr ausreichend für sich sorgen zu können, zögere die Wohnungsgesellschaft nicht, das zuständige Sozialamt oder den Sozialpsychiatrischen Dienst des Landkreises, einzuschalten.
Beide Unternehmenssprecher erklären übereinstimmend: Dass ein Mieter über einen längeren Zeitraum tot in der Wohnung lag, sei in ihren Häusern bisher nicht vorgekommen.
Quelle: Hildesheimer Allgemeine Zeitung, 05. Mai 2012